MICHAEL HUKE | TV WATTENSCHEID 01
Foto: Michael huke

Interview: Maik Schöneborn

Fotos: Nichael Huke

MICHAEL HUKE | TV WATTENSCHEID 01

Der ehemalige Top-Leichtathlet gewann 1991 und 1994 die deutsche Meisterschaft über 200 Meter. Außerdem gewann er mit der4-mal-100-Meter-Staffel des TV Wattenscheid 01 Leichtathletik 1991, 1992, 1993, 1995 und 1996 den Meistertitel und mehrere Vizemeisterschaften über 100 Meter. Huke war Teilnehmer beiEuropa- und Weltmeisterschaften und bei Olympia 1996 in Atlanta. Heute arbeitet Michael Huke für die TV Wattenscheid 01.

Herr Huke, Sie sind ehemaliger Top-Leichtathlet und arbeiten heute als Leistungssportkoordinator. Sie sind für die Leichtathleten und Athletinnen beim TV Wattenscheid 01 verantwortlich. Wie geben oder versuche Sie Ihre Erfahrungswerte heute weiterzugeben?
Erst einmal muss ich klarstellen, dass ich Geschäftsführer des TV Wattenscheid 01 bin und Leistungssportkoordinator am Bundesstützpunkt Leichtathletik und beim TV Wattenscheid angestellt. Als Manager habe ich mehr mit dem Umfeld- Management der Athleten zu tun und kümmere mich um Sponsoring und Finanzierungen aus öffentlicher Hand. Erfahrungen gebe ich auf dem Gebiet der dualen Karriereentwicklung weiter, empfehle und kümmere mich um die zweigleisige / duale Entwicklung unserer Athleten. Das beginnt in der Schule, über Ausbildung oder Studium, bis hin zum Arbeitsplatz. Alle Athleten, die nicht in den Genuss einer Sportfördergruppe der Bundeswehr oder Bundespolizei kommen, sollen sich ein zweites Standbein für die Zukunft sichern. Dahingehend gebe ich meine Erfahrungen weiter. Ich mache das auch gern auf sportlichem Gebiet, allerdings bin ich nun auch schon 20 Jahre aus dem aktiven Geschehen heraus und seien wir ehrlich, viele Dinge haben sich gravierend verändert

Gegenüber dem Fußball ist es für die Leichtathletik eindeutig schwieriger, neue Kinder für den Sport zu begeistern. Wo setzen Sie an, um diese Problematik in den Griff zu bekommen?
Für Begeisterung bei Kindern benötigt man Helden oder Vorbilder. Diese haben wir nicht mehr in diesem Umfang, wie vor 20-30 Jahren. Hier sehe ich einen Ansatz für uns, Helden zu entwickeln. Das müssen nicht immer olympische Medaillengewinner sein. Wir müssen uns mehr sichtbar machen, Präsenz an Schulen zeigen, Veranstaltungen durchführen, Kinder in Stadien und Hallen locken.

Wir haben uns bei Olympia nicht mit Ruhm bekleckert. Was muss im Schulsport oder besser gesagt an den Schulen geändert oder besser gemacht werden, damit wir in Zukunft wieder auf eine Vielzahl von Talenten zurückgreifen können?
Für mich hat hier ganz klar die Schule die Aufgabe, frühzeitig Talente zu entdecken und Empfehlungen auszusprechen. Die Sportlehrer haben den ersten Kontakt und dann auch über viele Jahre. Hier muss die Politik Wege aufzeigen, bestenfalls Gesetze formulieren, wie eine Talentsichtung über Schulen in Verbindung mit Vereinen besser organisiert werden kann. Aktuell findet das nur sporadisch statt, beispielsweise wenn interessierte Sportlehrer diese Talente fördern wollen. Ich sehe das sportartübergreifend. Schulen haben einen Bildungsauftrag, der sich nicht nur auf die geistige Entwicklung bezieht, sondern auch auf die körperliche. Hier versagt unser System, denn Sport und Bildung sind leider nicht verzahnt. Vereine können eine flächendeckende Talentsichtung nicht leisten. Ein funktionierendes System der Talent-Entdeckung hatten wir ja bereits in Deutschland. Leider will davon heute niemand mehr etwas wissen.

Beim TV Wattenscheid haben Sie sehr gute Trainingsmöglichkeiten. In Fachkreisen sind diese bekannt, aber wie kann man talentierte Kinder von solchen Konzepten begeistern, um diese an die Leichtathletik zu binden? Es gibt ja schließlich heute vielfältige Möglichkeiten, sich als Teenager überhaupt nicht mit Sport zu beschäftigen. Die modernen Medien sind eine Gefahr. Hier muss doch der Schulsport viel mehr bewegen. Das Gefühl täuscht bestimmt nicht, wenn ich die These aufstelle, dass viele Kinder nicht wissen, wie weit sie mit Sport kommen und was sie damit alles erreichen können, oder?
Zweifellos müssen wir im Bereich Social Media viel mehr Öffentlichkeitsarbeit leisten, uns bekannter machen. Hier haben wir viel Boden verloren gegenüber dem Fun-Sport. Auch hier könnte der Schulsport einiges bewegen, aber auch wir Vereine müssen viel offensiver an Kinder herantreten, zeigen, was wir können. Wir müssen aus unserem Wohlfühlbereich heraustreten, darauf warten, dass Talente zu uns kommen, ist zu wenig. Eine Lösung für alle Vereine habe ich noch nicht, aber wir als TV Wattenscheid 01 haben unsere Ideen entwickelt und setzen bereits Einiges um, wie zum Beispiel den Sprintcup der Bochumer Schulen, den Westparklauf, Sportveranstaltungen in der Eventbühne Lohrheidestadion und in ganz Bochum.

Sie suchen ihre Talente in ganz Deutschland. Haben Sie Scouts, die zu Wettbewerben fahren oder erhalten Sie Empfehlungen aus den jeweiligen Kreisen und schauen sich dann die Kinder gezielt an
Ähnlich wie im Fußball scouten wir auch deutschlandweit. Wir haben am Olympiastützpunkt in Bochum-Wattenscheid ein Vollinternat, also die Möglichkeit, auch junge Athleten zu uns nach Bochum zu holen und in Verbindung mit den Eliteschulen des Sports, diese auch dual zu entwickeln. Unsere Trainer halten gezielt Ausschau nach Talenten in den Disziplingruppen, die wir hier fördern und bei denen wir eine vertikale Trainerstruktur haben, also hauptamtliche Trainer im Jugend- und Erwachsenenbereich.

Wie bewerten Sie die Schulsport-Situation in Bochum oder überhaupt in Deutschland?
Es gibt sehr engagierte Sportlehrer und auch Schulen, mit denen viele Vereine eng zusammenarbeiten. Das ist aber nur ein Bruchteil derer, die wir benötigen, um flächendeckend Talente zu finden. Wir werden uns wohl zukünftig damit abfinden müssen, im Medaillenspiegel bei Olympia nur noch auf dem 10. Platz zu rangieren, wenn wir nicht damit anfangen, frühzeitig ein System der Talentsichtung und Förderung zu entwickeln, um diesem Trend entgegenzuwirken.

Wäre ein professionalisierter Lehrplan mit fester Einbindung der Leichtathletik in seinen breit aufgestellten Formen nicht eine nachhaltige Lösung?
Nicht nur die Leichtathletik sollte fester Bestandteil sein, auch das Turnen, Schwimmen und andere koordinative Sportarten. Man darf eins nicht vergessen, die Leichtathletik ist die Grundlage jeder Sportart, überall wird gelaufen, geworfen und gesprungen, also gehört sie in jeden Lehrplan.