INTERVIEW | RUHRICAL
Foto: Böhne
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Interview: Sonja Long

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INTERVIEW | RUHRICAL

Der Ruhrpott ist angesagt, keine Frage, aber nicht nur wegen unserer Fußballvereine oder Herbert Grönemeyer, sondern auch wegen vieler sonstiger Attraktionen. Dabei sind das auch nicht nur die Highlights der Industriekultur, sondern noch vieles mehr. Das RUHRICAL THEATER trifft den Nerv der Zeit und vor allem den Nerv der Fans. Wir sprachen mit dem Macher des Musicals Bernd Böhne, um mal etwas mehr über das RUHRICAL zu erfahren.

Herr Böhne, wie kam es überhaupt zu der Idee mit dem RUHRICAL?
Das Ruhrgebiet hat alles, was erfolgreiches Musiktheater braucht: eine unglaubliche Geschichte, tolle Musik und Songs, herausragende Künstler, tolle Theater und ein Publikum, das sich selbst feiert. Es muss nicht immer Elisabeth oder Rocky Horror sein. Das Gute liegt direkt vor der Haustür.

Viele Menschen im Pott haben die Nase vom Pott anscheinend voll. Ich finde, dass wir immer noch eine Menge zu bieten haben und anderen Bundesländern in punkto Kultur weit voraus sind. Ich vermute, dass Sie das ähnlich sehen?
Ich glaube, die Menschen hier im Ruhrgebiet wissen genau, wer sie sind und was sie können. Und sie sind auch stolz darauf. Am Ende unserer RUHRICAL Vorstellungen steht der ganze Saal. Immer! Die Leute erleben bei uns ihre eigene Identität, ihr eigenes Leben und das feiern sie. Keine Spur von „Nase voll“. Wer bei uns aus dem RUHRICAL Theater kommt, hat Bock auf den Pott. Garantiert.

Jetzt ist der schmale Grat zum Kitsch ja schnell gegeben bei einem Musical. Wie haben Sie denn von Anfang an den Ansatz gefunden, den typischen Ruhrpott-Kitsch der qualmenden Schornsteine und alten Kohlesiedlungen möglichst zu vermeiden?
Wir begegnen diesen RUHRI-Klischees, indem wir sie nicht bedienen. Es ist schon manchmal krass, zu erleben, wie manch eine/r auf diese Idee RUHRICAL reflektiert: „Ruhrpott Musical? Das kann doch nichts sein!“ Weit gefehlt. Das sind immer die Menschen, die das Ensemble und das RUHRICAL am begeistertsten feiern und am Ende der Vorstellung verstanden haben, dass wir uns im Ruhrgebiet vor überhaupt nichts verstecken müssen. Wir sind das Ruhrgebiet. Punkt! Wenn wir unsere Theaterbesucher z. B. am Anfang der 2. Hälfte mit auf Seilfahrt im Korb bis auf 1.000 Meter Tiefe in den Schacht mitnehmen, tun wir dies nicht mit verklärter Ruhrpottromantik, sondern zeigen wie es mal war unter Tage: mit harter Arbeit und klaren Worten im ArbeitskamVpf. Und dass man froh war, wenn man wieder am Tage war.

Liege ich falsch, wenn ich die These aufstelle, dass ausgerechnet Zuschauer von außerhalb, genau diese, in anderen Bundesländern definierte und dorthin übertragene Ruhrpott- Idylle, gerne in einem Musical sehen möchten, während der Ruhrpottmensch darauf vielleicht gar nicht mehr so den Bock hat?
Ja, da liegen Sie falsch. Wir erleben bei unseren Vorstellungen zwar vermehrt auch Besucher aus dem ganzen Bundesgebiet, aber der große Teil kommt aus dem Ruhrgebiet und auch aus dem Münster und Sauerland. Es ist in etwa wie beim Fußball: Der große Teil der Stadionbesucher ist aus dem Revier, die anderen sind „Touristen“.

Die Musik spielt ja eine große Rolle, auch der Fußball. Wie sind Sie an die Auswahl der Musik gegangen? Gab es Favoriten, wie Extrabreit und Wolfgang Petry oder auch Helge Schneider, die sofort gesetzt waren?
Die Musik und unsere grandiose Liveband spielen natürlich eine herausragende Rolle im RUHRICAL. Wir haben, nachdem die Idee zum RUHRICAL geboren war, eine Setliste aufgestellt von Künstlern, die aus dem Ruhrgebiet stammen, oder Songs, die sich mit dem Ruhrgebiet beschäftigen. Das ging, um hier nur einige zu nennen, über Grönemeyer, Nena, Geier Sturzflug, Extrabreit, Hape Kerkeling auch bis zu dem Kölner Wolle Petry mit „Ruhrgebiet“ oder dem „Mond von Wanne- Eickel“. Bei weiteren Recherchen kamen dann auch einige Überraschungen auf die Setliste. „Blame it on the Boogie“ zum Beispiel.

Sie sind ja auch Produzent, Autor und Regisseur, und der Cast ist nicht gerade klein. Hatten Sie beim Schreiben schon Gesichter vor Augen, die im RUHRICAL auf der Bühne stehen sollten, oder ergab sich das alles erst beim späteren Casting, als die Story schon stand?
Beim Schreiben und Entwickeln der Geschichte und Figuren hatte ich schon gewisse Vorstellungen. Beim Casting und dann später in den Proben war das aber wieder weg. Die Arbeit mit unseren professionellen RUHRICAL Darstellern/ innen, Sänger/innen, Tänzer/innen und Schauspieler/innen war dann eine große Freude mit herausragendem Ergebnis.

Sie haben auch die RUHRICAL Akademie gegründet. Da geht es darum, Kinder und Jugendliche kulturell zu unterstützen. Erzählen Sie mal.
Während der Pandemie konnte niemand zu uns ins Theater kommen. Auch nicht die Kids und Jugendlichen. Daher haben wir uns gesagt: Wir kommen zu den Kids in die Schule. Mit unseren Bühnenprofis in Sachen Beatboxing, Breaking, Gesang und Schauspiel hatten wir die entsprechenden Dozenten schon in unseren Reihen. Wir alle waren dankbar, dadurch auch während der Pandemie eine Aufgabe zu haben. Daraus ist die Radio Ruhrpott Akademie entstanden, wofür wir sehr dankbar sind.

Vielen Dank für dieses spannende Interview.
Sehr gerne.