JOHAN SIMONS THEATER FÜR DIE MENSCHEN
Foto: Ina Schoenenburg-Ostkreuz

Interview: David Wienand

Foto: Ina Schoenenburg-Ostkreuz

JOHAN SIMONS THEATER FÜR DIE MENSCHEN

Seit der Spielzeit 2018/2019 ist der Niederländer Johan Simons der Intendant des Bochumer Schauspielhauses und somit Teil einer illustren Intendantenriege, der u. a. Hans Schalla, Peter Zadeck, Claus Peymann, Leander Haußmann und Anselm Weber angehören. Der ehemalige Ruhrtriennale-Intendant und mehrfach für seine Arbeiten ausgezeichnete Simons ist aber niemand, der sich vor großen Fußstapfen fürchten muss, und so ficht er auch im Gespräch mit David Wienand und Bochum macht Spaß mit Vehemenz und Enthusiasmus für sein neues Programm und gegen den Vorwurf des Elitarismus, der dem Bochumer Schauspielhaus seit dem Beginn seiner Amtszeit anhaftet.

Herr Simons, die neue Theatersaison des Bochumer Schauspielhauses beginnt, und es gibt sicherlich Aufführungen, auf die Sie sich besonders freuen. Bitte verraten Sie uns doch, welche.
Die Vorfreude auf die neue Spielzeit ist riesig! Wir haben über 20 Premieren im Programm. Sowohl bekannte, große Stücke wie Edward Albees »Wer hat Angst vor Virginia Woolf« oder Maxim Gorkis »Kinder der Sonne« als auch bislang unentdeckte Stoffe, etwa die Uraufführung von Hervé Guiberts Roman »Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat«. Das ist eine Inszenierung von Florian Fischer, die am Beispiel der Aids-Epidemie Ende der 80er-Jahre der Frage nachgeht, wie tödliche Krankheiten menschliche Beziehungen beeinflussen.

Das Bochumer Theater hat gerade die Auszeichnung als das beste Theater des Landes erhalten, auch wenn sich viele Entscheider nicht auf eine Bühne festlegen wollten. Wie sehr freut Sie die Auszeichnung dennoch?
Das „dennoch“ können Sie ruhig streichen, denn diese Auszeichnung bedeutet Freude pur! Besonders glücklich hat es mich gemacht, dass so viele Ensemblemitglieder in der Umfrage genannt wurden, denn das Bochumer Ensemble ist nicht nur von der künstlerischen Qualität, sondern auch menschlich etwas ganz Besonderes.

Als Sie sich mit ihrem Team daran gemacht haben, die Stücke für die neue Saison auszuwählen – nach welchen Kriterien sind Sie dabei vorgegangen?
Aktuell werden wir von den Themen doch geradezu heimgesucht. Kriege, Klimawandel, die Pandemie, soziale Spaltungen … Es ist eine rastlose Zeit, der man sich als Theatermacher stellen muss; übrigens durchaus auch mit Komödien.

Musiker sagen oft, wenn sie sich zu sehr nach den Wünschen ihrer Fans richten, dann garantiere das den kreativen Untergang. Wie maßgeblich sind für Sie die sicherlich auf vielfältige Art und Weise vorgetragenen Publikumswünsche bei der Planung?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass der größte Wunsch des Publikums lautet, wirklich gutes Theater zu sehen: Theater, das berührt. Theater, das reflektiert. Theater, das zum Lachen und zum Nachdenken bringt. Dieser Wunsch vereint das Publikum mit den Künstlerinnen und Künstlern und hat nichts zu tun mit kreativem Untergang.

Wie erklären Sie sich eigentlich die Diskrepanz zwischen Experten-Lob und bisweilen harscher Publikumskritik, z. B. „Abgehobenheit“ und „die breite Masse wird nicht mitgenommen“ usw.? Wie nah lassen Sie diese Kritik persönlich an sich heran?
Kritik kann etwas Fruchtbares sein, und mir ist wichtig, kritische Stimmen zu hören und mich nicht davor zu verschließen. Deshalb haben wir am Schauspielhaus Bochum auch die Veranstaltung »Lasst uns reden!« eingeführt, bei der wir auf Augenhöhe mit unserem Publikum ins Gespräch kommen. Was mich schmerzt, ist, wenn behauptet wird, ich würde elitäres Theater machen, denn das stimmt einfach nicht. Seitdem ich das erste Mal ein Theater geleitet habe, war mein Credo, Theater für Menschen zu machen, die nie und nimmer im Theater waren. Dafür sind wir damals in den Niederlanden raus aus den großen Städten und zu den Leuten aufs Land gegangen. Wir haben in Ställen und Gewächshäusern gespielt, auch in alten Fabrikhallen, was zu der Zeit wirklich revolutionär war. Und auch, wenn das lange vorbei ist, habe ich immer daran festgehalten, alle Menschen für das Theater zu begeistern.

Wie überzeugt sind Sie davon, dass Sie mit dem neuen Programm den einen oder anderen, am besten aber alle abtrünnigen Abo-Kunden wieder zurückgewinnen können?
Ich bin von unserem Programm völlig überzeugt, sonst würden wir es nicht zeigen. Aber die Rechnung „gutes Programm = volles Haus“ ist in den Zeiten, in denen wir uns befinden, leider zu einfach gedacht. Die gesamte Kulturbranche hat momentan schwer zu kämpfen, um Publikum in ihre Veranstaltungen zu bekommen. Die Pandemie und aktuell auch die sprunghafte Inflation beeinflussen den Publikumszuspruch enorm. Deshalb bieten wir auch neue Abo-Modelle an, die noch flexibler sind, und erfreulicherweise auch gut nachgefragt werden.

Wird deshalb auch der »Hamlet«, von Ihnen inszeniert mit Sandra Hüller in der Titelrolle, wieder aufgenommen? Der englische Autor, das deutsche Theater, die ausgezeichnete Schauspielerin – aller guten Gründe hierfür sind allein diese drei?
Es gibt mindestens noch 3000 weitere Gründe, diese Inszenierung weiter im Programm zu haben. »Hamlet« ist ein wirklich tolles Beispiel dafür, wie zeitlos gutes Theater sein kann. Wenn ich mir heute das Stück anschaue, nehme ich es ganz anders wahr als vor drei Jahren. »Hamlet« hat eine ganz neue Aktualität bekommen. Es gibt Stellen im Text, wo das Publikum gar nicht anders kann als an den Krieg in der Ukraine zu denken.

Wird es in den nächsten Monaten auch zu weiteren Kooperationen des Schauspielhauses mit den Bochumer Symphonikern und dem Musikforum kommen?
Sagen wir mal so – mit Tung-Chieh Chuang, dem Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker, verstehe ich mich wirklich gut: ein großartiger Künstler, mit dem ich mich viel austausche. Mal schauen, was daraus werden kann …

Dürfen sich die Bochumer an diesem 31.12.2022 wieder auf eine Silvesterfeier im Schauspielhaus freuen, und falls ja, welche Stücke planen Sie für diesen besonderen Abend?
Ich wünsche mir wirklich sehr, dass wir Silvester alle zusammen im Schauspielhaus in das Neue Jahr feiern können. Aber natürlich müssen wir abwarten, wie sich das Pandemiegeschehen weiterentwickelt. Das kann niemand voraussagen. Fest steht aber, dass wir am 31. Dezember im Großen Haus unseren Liederabend »Mit anderen Augen« zeigen. Eine wirklich berührende Arbeit von Selen Kara, die eintaucht in die Welt der Blindheit.

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