STIFTUNG AUSZEIT | IM GESPRÄCH MIT JOCHEN GROTHKOP
STIFTUNG AUSZEIT | IM GESPRÄCH MIT JOCHEN GROTHKOP
Marla strahlt, umarmt glücklich jeden Besucher. Seit einer Woche ist das junge Mädchen in Altenbochum zu Gast und fühlt sich sichtlich wohl im neuen Kurzzeit-Wohnheim für schwer- und mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche, das seine Mission im Namen trägt: „Auszeit“. Nach dem ersten halben Jahr ist gewiss: Auf dieses Zuhause auf Zeit haben viele Familien gewartet.
Es ist elf Jahre her, dass Jochen Grothkop einen kühnen Plan fasste. Aus eigener Erfahrung (sein Enkel ist schwerbehindert) weiß der heute 82-Jährige: Für Familien mit behinderten Kindern ist die Belastung immens. Bei aller Liebe: Eine Pause vom beschwerlichen Alltag muss her. In einer Einrichtung, die verlässliche und qualifizierte Pflege und Betreuung sicherstellt, während die Angehörigen für einige Tage oder Wochen ausspannen und neue Kräfte tanken können.
Jochen Grothkop gründet 2016 die „Auszeit“-Stiftung, die von weiten Teilen der Bochumer Stadtgesellschaft getragen wird. Es gelingt, 3,8 Millionen Euro Spenden zu gewinnen, den entscheidenden Beitrag leistete das Bochumer Wohnungsunternehmen Vonovia mit der Schenkung eines 3500 Quadratmeter großen Grundstücks an der Altenbochumer Straße 49a, die die Gesamtkosten für einen Neubau auf sieben Millionen Euro reduzierte.
Im November 2022 rückten die Bagger an. „Budget und Zeitplan wurden nahezu exakt eingehalten“, betont Jochen Grothkop. Im Rahmen der feierlichen Eröffnung seiens Lebenswerks wurde Grothkop, der sich bereits seit 2003 für die Elterninitiative „Menschen(s)kinder“ engagiert, mit der Ehrenplakette der Stadt Bochum ausgezeichnet.
Entstanden ist inmitten eines ruhigen Wohnquartiers ein Heim, das es so kein zweites Mal in Deutschland gibt. Betreiber ist das renommierte Franz-Sales-Haus, Essen. 16 behindertengerecht ausgestattete Einzelzimmer mit eigenem Bad, stehen im dreigeschossigen Neubau zur Verfügung. Es gibt Gemeinschaftsbereiche, Elternzimmer und eine Küche zur Selbstverpflegung.
Zum Start werden die acht Räume im Erdgeschoss für Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren genutzt. „Acht Zimmer im Obergeschoss kommen noch in diesem Jahr hinzu. Dann werden wir auch Kinder ab sechs Jahren betreuen“, sagt Koordinatorin Jasmin Schäfer, eine von aktuell zwölf Mitarbeitenden, darunter Sozialarbeiter und -assistenten, Heilerziehungspfleger sowie Gesundheits- und Krankenpfleger. Bei voller Auslastung will das Sales-Haus 30 Fachkräfte beschäftigen.
Die ersten Monate hätten gezeigt, wie groß die Versorgungslücke ist, schildert Holger Gierth, Vorstandsvorsitzender des Franz-Sales-Hauses. Die Familien kommen aus dem gesamten Ruhrgebiet bis zum Sauerland und Köln vor allem an Wochenenden und zu Brückentagen. Durchschnittlich bleiben die Kinder und Jugendlichen fünf Tage; Minimum sind zwei Übernachtungen, maximale Aufenthaltsdauer acht Wochen.
Dabei wird die „Auszeit“ keinesfalls allein für Erholung und Urlaube genutzt. „Vielfach lassen Mütter oder Väter in dieser Zeit aufgeschobene Operationen vornehmen oder treten Reha-Maßnahmen an, die sonst unmöglich wären. Wir haben auch schon den tragischen Fall gehabt, dass nach dem plötzlichen Tod eines Elternteils ein Wohnplatz angefragt wurde“, so Schäfer. Aber warum auch immer, wie lange auch immer: Dank der Kostenübernahme durch die Landschaftsverbände Westfalen-Lippe und Rheinland sowie der Pflegekassen ist die Betreuung für die Eltern kostenlos. Viele seien aus tiefstem Herzen dankbar, erzählt Jasmin Schäfer. „Sie wissen ihre Kinder bei uns in besten Händen.“
Das gilt auch für die Mitglieder der Elterninitiative „Menschen( s)kinder“, die mit dem Verein von der Kinderklinik nach Altenbochum wechselte. Die Gruppenaktivitäten sind nun um zwei Attraktionen reicher: den „Snoozelen“-Raum für Entspannung pur auf dem Wasserbett und das zehn mal fünf Meter große Bewegungsbecken mit 31 Grad warmem Wasser, das an das Familienforum und die Schwimmschule „Swim2grow“ vermietet wird.
„Was sich hier tut, ist für uns alle sehr bewegend. All die Arbeit hat sich gelohnt“, sagt Frank Korten. Der Inhaber des Bochumer Bettenfachgeschäftes zählt als Vorstandsmitglied zu den langjährigen Unterstützern der „Auszeit“-Stiftung. Das Heim gilt als herausragendes Beispiel des Zusammenwirkens und der Solidarität der Bochumer Stadtgesellschaft. Auf der Homepage gewürdigt: der Star-DJ ATB, die Architekten Kemper, Steiner & Partner, die Unternehmen Blennemann, Dönninghaus, Lueg, Mauer, Mohr, Rewe Lenk, Tedata und Webdesign Bochum, die Rotary-Clubs Bochum-Hellweg und Bochum-Rechen, der Lions-Club Bochum-Ruhr, die Sparkasse Bochum, die Volksbank Bochum-Witten, die Stadtwerke Bochum und die Gelsenwasser-Stiftung. Auch die Solidarfonds-Stiftung NRW und die BILD-Zeitung mit „Ein Herz für Kinder“ leisteten namhafte Spenden und es gab öffentliche Zuschüsse. Marlas Strahlen ist für alle das schönste Geschenk.
Ausführliche Informationen auf stiftung-auszeit.de.