17 TAGE VOLLER KAPRIOLEN | ZELTFESTIVAL

Genauso abwechslungsreich wie das Programm des diesjährigen Zeltfestivals am Kemnader See auf der Stadtgrenze zwischen Bochum und Witten waren in diesem Jahr auch das Wetter und seine Kapriolen. Ein Thema, mit dem sich die Organisatoren – letztendlich erfolgreich – herumschlagen mussten. Nachdem etwa 100.000 Liter Wasser aus dem vom langen und heftigen August-Regen vollgesogenen Areal am Kemnader See abgepumpt und die Zelte auf halbwegs trockenem Boden fest verankert worden und die Wege sicher waren, durfte es endlich losgehen.

Bereits am ersten Wochenende des diesjährigen Zeltfestivals Ruhr 2023 am Kemnader See gab es mindestens drei musikalisch spannende und hochkarätige Veranstaltungen zu genießen. Zunächst einmal waren es zwei hochkarätige Alternative-Rock-Bands, die süddeutschen Sportfreunde Stiller und tags darauf die österreichische Gruppe Wanda, jeweils im Stadtwerke-Zelt, die für einen lautstarken und rockenden Start in die prallgefüllten Festivalwochen sorgten. Beide Male kochten die Zeltplanen und auch die vielen Fans, die sich darunter versammelt hatten. Das nicht nur wegen der leidenschaftlichen und mit Hits und erstklassigen Rock-Songs gespickten Live-Performances der beiden ausgezeichneten Bands, sondern auch unter der unerträglichen Schwüle im Zelt. Egal, gekommen war man ja schließlich, um endlich wieder Party zu machen mit den Sportis, und um den durchaus nachdenklichen und musikalisch ambitionierten Songs des Wiener Quartetts Wanda zu lauschen. Bei den Sportis gab es natürlich besonders viele Hits von „Applaus, Applaus“ und „New York, Rio, Rosenheim“ über den Fußball-Kracher „Ich, Roque“ bis hin zur Rausschmeißer-Hymne „Siehst Du Das genauso?“.

Also gab es frohe Gesichter allerorten, genauso wie nach der explosiven Hip-Hop- und fulminanten Light-Show des Rostocker Sängers Marteria einen Tag später am zweiten Festival-Abend. Seine mit vielen Genrehits gespickte, knapp 120-minütige Show wurde aus einer Menge lauter Kehlen in beeindruckender Textsicherheit mitgesungen. Gänsehaut gab es besonders bei Songs wie „Kids“ oder „Lila Wolken“, die zum Schluss des Konzerts die Stimmung noch einmal zum Kochen brachten.

Eine ausgelassene Stimmung ganz anderer Art herrschte am dritten Festivalabend im Sparkassen-Zelt. Gerburg Jahnke, die feministische Komödiantin mit dem fiktiven Ehemann im Garten, führte mit ihren Gästinnen Patrizia Moresco, Anka Zink, Katie Freudenschuss und Suchtpotenzial viele humorvolle und satirische Tiefschläge gegen die Männerwelt. Ein bemitleidenswerter André in der ersten Reihe musste für so manchen Scherz als männliches Opfer herhalten.

Ein paar Tage später auf der Piazza-Bühne: Nicht zum ersten Mal zieht der Kölner Rock-Sänger Benj Rose – dieses Mal leider mit seiner um den Gitarristen dezimierten Band – eine weitere, fulminante Rock-Show beim Festival ab. Highlights des bejubelten Auftritts waren die neue Single „Moments“ und die auch ohne Gitarre kraftvolle Version des Kings of Leon Hits „Sex On Fire“. Freuen darf man sich auf das im November erscheinende neue Album von Benj Rose, das genauso wie die Single den Titel »Moments« tragen wird. Gut, dass auch das diesjährige Zeltfestival erstklassigen Musikern wie Benj Rose eine Bühne bot.

Auf der sind Mando Diao aus Borlänge in Schweden längst eine Größe und einer der internationalen Acts, die in diesem Jahr auf der Bühne am See zu erleben waren. Die Jungs um Frontmann Björn Dixgard sind live mittlerweile wieder eine Rock‘n‘Roll-Bank, und auch wenn die Songs des neuen Albums »Boblikov’s Magical World« nicht so recht zünden, tun es dafür die vielen Hits, die geschickt ins Set integriert wurden: „Long Before Rock and Roll“, „Dance With Somebody“, „Gloria“ und insbesondere die Hammer- Nummer „Down in the Past“ gingen ab wie Schmitz´ Katze. Auch ohne Schwüle wäre immenser Schweißfluss garantiert gewesen!

Volles Sparkassen-Zelt dann bei Dauergast Sarah Connor. Die Reality-TV-Lady aus Delmenhorst ist längst zur begeisternden Entertainerin von Pop-Format gereift und scheut auch vor musikalischen Wagnissen nicht zurück. Ihre überraschende Version des Guns‘n‘Roses-Klassikers „Paradise City“ entlockte sogar gestandenen Heavy- Metal-Fans das eine oder andere Kompliment. Apropos Delmenhorst – natürlich durfte der gleichnamige Hit der Band um den charismatischen Sänger Sven Regener bei der Rückkehr von Element Of Crime an die Kemnade nicht fehlen, auch wenn das neue Album »Morgens um vier« eindeutig im Mittelpunkt stand, denn es wurde einer begeisterten Anhängerschaft des Quintetts komplett live präsentiert. Einerseits betrauerten die Fans schmerzlich den tragischen Verlust des langjährigen Bassisten David Young, andererseits bereiteten sie seinem Nachfolger Markus Runzheimer einen warmen Empfang. Was für eine grandiose Band und was für eine musikalische Rock- Konstante mit Niveau für das Festival!

Bevor Dirk von Lowtzow wenige Tage nach dem Zeltfestival einen Solo-Auftritt im Schauspielhaus Bochum absolvierte, spielten er und seine Band Tocotronic eine Show im Stadtwerke-Zelt, bei der die Hamburger Indie-Protagonisten ebenso ihre Rock-Fähigkeit unter Beweis stellten. Auch hielten sie sich nicht zurück mit kleinen Sticheleien gegen den Star-Gast, der parallel im Sparkassen-Zelt zur zweiten Show beim diesjährigen Festival Hof hielt und der ein Sprössling der Kelly Family ist.

Zum ersten Mal zu Gast am Kemnader See war der Antilopen- Gang-Musikant Danger Dan. Eine mutige Entscheidung und absolute Bereicherung für das Festival. Und das nicht nur, weil der Sänger gleich Front machte gegen jedwede rechte Gesinnung und die zunehmende rechte Stimmung im Land. Die Glaubwürdigkeit seiner Haltung unterstrich Daniel Pongratz – so der bürgerliche Name des Hip-Hoppers – durch enorme Musikalität und eine leidenschaftliche Live- Show, die ihre Bann-Kraft beim Publikum nicht verfehlte.

Kongenialer „Rausschmeißer“ des diesjährigen Zeltfestivals war Lokalmatador Mambo Kurt, der nach der Flut von Wacken trockenen Fußes in seine Heimat reisen konnte und sich keine Sorgen um seine Heimorgel machen musste. Hin und weg waren die Besucher des letzten Festivaltages angesichts seiner eigenwilligen Interpretationen von Hits aus vielen musikalischen Genres.

Nach dem Zeltfestival 2023 ist vor dem Zeltfestival 2024. Der 17-tägige Konzert-Neustart nach Corona hat funktioniert und begeistert – trotz so mancher Regengüsse zwischen Sonnenschein –, genauso das neue »Markt der Möglichkeiten«-Konzept auf dem Festivalgelände und die vielfältige Gastronomie – sehr oft am Anschlag – sowie die begeistert aufgenommenen Seilwanderschaften des Trapezkünstlers über den Zeltdächern. Freuen darf man sich übrigens bereits auf einen Zeltfestival-Dauergast im nächsten Jahr: Die Rockband Silbermond aus Bautzen hat bereits ihr Kommen zugesagt.

P.S.: Die Auswahl der „nachberichteten“ Shows des diesjährigen Zeltfestivals muss angesichts der Fülle der Veranstaltungen und des hier zur Verfügung stehenden Platzes selbstverständlich eine unvollständige sein.

Dass Highlight dann um 20:30 Uhr: SIDO! Der ehemalige Skandal-Rapper punktet mit einem unfassbar guten Sound, sensationeller Song-Auswahl und einer geistigen Fitness bei den Texten die ihresgleichen sucht. Sofort hat der 42- Jährige sein Publikum sympathisch im Griff und was folgt, ist ein wunderbares, kaum enden wollendes Hit-Feuerwerk mit Luftschlangen, Feuer und einer Crew inklusive DJ von internationalem Top-Format. Hit reiht sich an Hit und bereits relativ früh reißt SIDO mit der Nummer „Bilder im Kopf“ das Gelände ab; von diesem Moment an gibt es für die nächsten 60 Minuten kein Halten mehr. 90 Minuten lang gibt der Berliner wirklich alles, gut und cool gekleidet mit einem Auftreten … auch, ich wiederhole mich. Tolles Festival, große Klasse, bitte wieder genau so!