bochum macht spaß
Foto: Andreas Molatta

DER SPORTDIREKTOR DES VFL BOCHUM

SEBASTIAN SCHINDZIELORZ IM INTERVIEW

Interview:

David Wienand

Fotos:

Andreas Molatta

Sebastian Schindzielorz´ Liaison mit dem VfL begann vor etwas mehr als 20 Jahren als Aktiver bei den Amateuren an der Castroper Straße. Seitdem hat sich für ihn eigentlich immer - auch in Zeiten, in denen er für andere Clubs an anderen Orten gegen das runde Leder trat - alles um den VfL gedreht. Das Ruhrgebiet, in dem der 1979 im polnischen Krapkowice (Krappitz) geborene Sportsmann seine Heimat gefunden hat, möchte Sebastian Schindzielorz ebenfalls nicht mehr missen. Seit dem vergangenen Jahr ist Sebastian Schindzielorz dem VfL Bochum in einer noch bedeutenderen Position verbunden, denn als Geschäftsführer Sport in der VfL Bochum 1848 GmbH & Co KGaA, muss er nun immer „das große Ganze“ im Verein im Blick haben. Was das bedeutet, seine Erlebnisse und Erinnerungen als Spieler, schöne und weniger schöne Momente auf dem Platz, einen Ausblick auf kommende Spiele, Gegner und Ziele, sowie die Bedeutung von Heimat und dem Ruhrgebiet, darüber gibt Sesi im Gespräch mit David Wienand bereitwillig Auskunft.

Bei der Interview-Recherche habe ich eine VfL-Autogrammkarte aus der Saison 2002/2003 mit ihrem jungen Konterfei gefunden.Hätten Sie sich damals träumen lassen, dass Sie nach ihrer Karriere als Spieler beim VfL in verantwortlicher Position zu dem Verein nach Bochum zurückkehren?
Natürlich nicht, denn meine Karriere war ja nach meinem Engagement beim VfL noch lange nicht vorbei. Ich habe in den zehn Jahren danach noch mit dem 1. FC Köln in der Bundesliga gespielt und bin mit dem VfL Wolfsburg sogar Deutscher Meister geworden. Dazu kamen die interessanten Auslandsstationen in Norwegen und Griechenland. In all den Jahren habe ich aber immer geschaut, was der VfL macht, wie die sportliche Kurve verläuft. Wenn man als Spieler 15 Jahre in einem Verein aktiv ist bzw. war, dann ist das aber auch nicht verwunderlich.

Wie lange haben Sie gezögert, als man Ihnen den sehr wichtigen Posten des Sportvorstandes beim VfL angeboten hat?
Die Situation aus dem Februar 2018 ist bekannt: Der VfL steckte in einem sportlichen Tief, die Abstiegszone war nur drei Punkte entfernt, die Unruhe rund um denVerein wuchs. Es folgten die Entscheidungen seitens des damaligen Aufsichtsrats, Christian Hochstätter von seinen Aufgaben zu entbinden und mir den Job
anzuvertrauen. Ich wusste, dass es weitere schnelle Entscheidungen brauchte, schließlich befanden wir uns im laufenden Wettbewerb und das nächste Spiel war
kaum 48 Stunden später angesetzt. In so einer Situation bleibt wenig Zeit, um abzuwägen oder zu taktieren.

Worin bestehen für Sie die größten Unterschiede darin, als Spieler oder als Sportvorstand für einen Verein tätig zu sein?
Als Spieler hat man direkten Einfluss auf das, was im Fußball letztlich wichtig ist, nämlich über Sieg oder Niederlage. Es sind die Spieler, die auf dem Platz
stehen und die Vorgaben ihres Trainerteams erfolgreich umsetzen sollen. Als Geschäftsführer Sport bin ich mit wesentlich mehr Aufgabengebieten betraut,
das Stellenprofil ist deutlich komplexer. Als Spieler verhandle ich für mich selbst, als Geschäftsführer Sport handle und verhandle ich für den Verein und muss dabei das große Ganze im Auge behalten.

Nach ihrer Spielerkarriere beim VfL waren Sie u.a. auch in Köln und Wolfsburg aktiv. Später kam dann die Rückkehr nach Bochum. Was hat Bochum für Sie, das Köln und Wolfsburg nicht zu bieten haben?
Das Ruhrgebiet war und ist mein Lebensmittelpunkt. Meine Familie wohnt hier, ich bin in Bochum aufgewachsen, insofern habe ich einen ganz anderen
Bezug zur Stadt, als zu den anderen Orten, an denen ich gespielt habe, was allerdings nicht heißt, dass ich mich dort nicht wohlgefühlt habe. Jede Stadt, in der ich gespielt habe, hatte ihre Qualitäten.

Spielte neben dem Verein auch die Stadt Bochum eine wichtige Rolle dabei, den Vorstandsjob beim VfL anzunehmen?
Natürlich spielt der VfL in der Stadt und der direkten Umgebung – ich wohne in Witten – eine große Rolle und je mehr man in den öffentlichen Fokus rückt, desto eher sind die Leute auch dazu geneigt, einem zwischendurch mal die Meinung zu sagen. Dafür ist das Ruhrgebiet bekannt und das ist auch gar nicht schlimm, denn es zeigt, wie lebendig unser Revier ist und wie tief der Fußball hier in unserer Kultur verwurzelt ist.

Robin Dutt hat in einem Interview mit BOCHUM MACHT SPAß das kulturelle Angebot der Stadt Bochum und auch die Qualität der Gaststätten und Restaurants gelobt. Wie oft stürzen Sie sich gemeinsam in das Bochumer „Leben“?
Robin Dutt und ich pflegen einen guten, professionellen und lösungsorientierten Austausch. Unser beider Job ist sehr zeitintensiv, sodass ich für meinen Teil die knapp bemessene Freizeit gerne mit meiner Familie, sprich mit meiner Frau und unseren Kindern verbringe. Ich schätze das Leben in und um Bochum, sowie die Einwohner Bochums und bin auch gerne unter Menschen, deshalb haben wir einen großen Bezug zu Bochum und die Stadt auch stets als Lebensmittelpunkt im Blick gehabt.

Wobei oder womit bekommen Sie den Kopf frei für ihre Arbeit für den VfL?
Meine Familie hat mich zwar in den letzten Jahren etwas weniger zu Gesicht bekommen, dennoch ist sie der stabilisierende Faktor. Meine Kinder freuen sich immer, wenn wir gemeinsam etwas unternehmen. Dazu versuche ich so oft wie möglich Sport zu treiben, das ein oder andere Mal sogar mit dem Ball am Fuß…

Schön ist anders, könnte man zur vergangenen Saison salopp und mit Ernüchterung sagen. Wie gehen Sie damit um, dass Sie sich vielleicht einen besseren Einstand, einen besseren Saisonverlauf und -abschluss gewünscht hätten?
Dazu müsste ich vielleicht präzisieren, dass mein Einstand – so wie oben beschrieben – ja schon in der Saison 2017/18 erfolgte und jene Saison haben wir im Verbund, mit dem damaligen neuen Trainer Robin Dutt, sowie den Co-Trainern Heiko Butscher und Peter Greiber, zu einem unterm Strich sehr erfolgreichen Ende gebracht. Wir waren zwar erst nach dem 32. Spieltag gerettet, hatten in dieser verrückten Saison aber am 33. Spieltag sogar noch die Chance, ins Aufstiegsrennen einzugreifen. Am Ende wurden wir Sechster, übrigens die drittbeste Platzierung des VfL in der Zweiten Liga seit dem letzten
Abstieg aus der Bundesliga. Wenn wir die vergangene Saison betrachten, sind wir natürlich nicht zufrieden, was die Platzierung angeht. Wir haben vor der Saison das langfristige Ziel ausgegeben, den VfL wirtschaftlich und sportlich unter die TOP 25 in Fußball-Deutschland etablieren zu wollen. Dies ist ein Prozess. Den haben wir eingeleitet und bemühen uns, ihn kontinuierlich und erfolgreich auf- und auszubauen. Zu einem Prozess gehört allerdings auch, dass die Kurve nicht stetig bergauf geht, Rückschläge muss man einkalkulieren und es gehört auch dazu, eine Mannschaft zu entwickeln. Daran arbeiten wir kontinuierlich.

Überlassen Sie die Verarbeitung von Spielen, Spielergebnissen und der Saison, sowie die „Ansprachen“ hierzu alleine dem Trainer oder finden Sie auch schon mal deutliche Worte?
Ich tausche mich regelmäßig mit dem Trainer und seinem Team aus, ohne mich dabei in die Trainingsarbeit einzumischen. Es gibt klare Kompetenzen und
Absprachen. Selbstverständlich kommuniziere ich auch mit den Spielern, einzeln oder in Gruppen, wie zum Beispiel dem Mannschaftsrat.

Wie weit ist ihre Suche nach den Spielern gediehen, mit denen die nächste Saison erfolgreicher als die letzte verlaufen soll?
Wir haben sechs unserer Youngster aus dem eigenen Talentwerk mit Profiverträgen ausgestattet, wobei bis auf Jan Wellers und Maxwell Gyamfi alle anderen – Torwart Paul Grave, sowie die Feldspieler Armel Bella-Kotchap, Stelios Kokovas und Moritz Römling – noch ein weiteres Jahr in der U19 spielen könnten. Die Ausbildung eigener Talente genießt bei uns einen hohen Stellenwert. Diesen Weg muss der VfL meiner Meinung nach weiter erfolgreich beschreiten. In Baris Ekincier haben wir einen weiteren Spieler aus den eigenen Reihen, dessen Vertrag wir verlängert haben. Dazu kommen mit Uli Bapoh, ebenfalls ein Spieler aus unserem Nachwuchs, sowie Simon Lorenz, zwei Akteure, die nach einem Jahr Leihe an andere Vereine zu uns zurückkehren. Bis dato haben
wir vier externe Neuzugänge geholt: Danny Blum von Eintracht Frankfurt für den Angriff, Saulo Decarli vom FC Brügge für die Abwehr, Patrick Drewes von den Kickers Würzburg fürs Tor und Jordi Osei-Tutu vom FC Arsenal London für die rechte Außenbahn. Das Transferfenster hat in diesem Jahr bis Anfang September geöffnet. Das ist noch ein langer Zeitraum, um den Markt zu sondieren und nach für den VfL finanzierbaren Spielern zu suchen.

Der VfL hat sich kurz nach der offiziellen und feierlichen Verabschiedung einiger Spieler im Stadion von zwei weiteren, sehr verdienten Spielern „getrennt“. Das haben nicht alle Fans als „feine englische Art“ empfunden. Sind es solche Momente, die ihren Job nicht einfach machen und die vielleicht auch einmal zu nicht so glücklichen Entscheidungen führen?
Wir haben uns nicht von Stefano Celozzi und Tim Hoogland getrennt. Ihnen wurde noch vor dem Saisonende offen und ehrlich mitgeteilt, dass die Mannschaft zukünftig eine andere Dynamik, eine neue Hierarchie braucht und deshalb nicht mit ihnen geplant würde. Sie waren beim Trainingsauftakt dabei, als Bestandteil des Kaders. Man erwartet von mir Entscheidungen, die im Sinne des Vereins zu treffen sind. Dieser Verantwortung bin ich mir bewusst und versuche ihr gerecht zu werden.

Der DFB-Pokal führt den VfL nach Baunatal. Seit den letzten beiden Runden weiß die ganze Fußballwelt, dass sich die vermeintlich kleinen Gegner vor dem VfL nicht zu fürchten brauchen. Ihre Prognose: Kommt der VfL in die 2. Runde?
Ob die ganze Fußballwelt schon vom VfL oder vom KSV Baunatal gehört hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Was ich aber weiß: In den letzten drei Jahren ist der VfL stets gegen unterklassige Gegner ausgeschieden, davon zweimal gegen Regionalligisten, einmal gegen den späteren Zweitliga-Aufsteiger SC Paderborn. Das frustriert die Fans genauso, wie die Verantwortlichen. Aus Baunatal ist zu hören, dass man den VfL sogar schlagen könne. Es liegt an uns, das Gegenteil zu beweisen.

Machen Sie den Fans noch mehr Mut: Wird es der VfL in der Saison 2019/2020 mit Hannover 96, dem HSV, dem VfB und dem FCN aufnehmen können? Wer sind weitere schwere Gegner?
Jeder Gegner in der Zweiten Liga ist unangenehm, jedes Spiel vor Anpfiff schwer. Das ist keine Binsenweisheit, sondern die Erkenntnis der letzten Jahre. In der vergangenen Saison waren Köln und der HSV die haushohen Favoriten, dahinter Ingolstadt, Union Berlin und St. Pauli angesiedelt. Das Resultat ist bekannt: Zwei der fünf Favoriten sind aufgestiegen, aber nicht der HSV. Ingolstadt ist sogar abgestiegen. Wir wollen gegen jede Mannschaft bestehen, nicht nur die oben genannten, so viel kann ich versprechen und wir freuen uns auf die Duelle, auf die Heimspiele im Vonovia Ruhrstadion sowieso, aber auch auf die Stadien in Hamburg, Stuttgart, Hannover und Nürnberg.

Kehrt der VfL schon 2020 dahin zurück, wo er eigentlich hingehört, nämlich in die 1. Liga oder werden die Fans ein weiteres Jahr warten müssen?
Wenn es danach ginge, wer alles in die Bundesliga gehört, dann müsste die DFL zukünftig wesentlich mehr Plätze im Oberhaus schaffen. Da haben die Fans
der Traditionsvereine, die derzeit in der 3. Liga oder Regionalliga spielen, sicher auch eine dezidierte Meinung zu. Fakt ist: Der VfL ist seit dieser Saison der Zweitligist,  der ununterbrochen am längsten dieser Liga angehört. Wir gehen jetzt ins zehnte Jahr. Dem Aufstieg nahe war man in diesem Zeitraum im Grunde genommen nur einmal, als man in der Relegation landete. Wir arbeiten wie gesagt intensiv daran, den VfL zunächst dauerhaft unter den TOP 25 zu etablieren. Dabei haben wir auch im Hinterkopf, was mit den Mannschaften passiert ist, die aufgestiegen sind und welchen Weg sie danach eingeschlagen haben: Kaiserslautern, Braunschweig, Ingolstadt, Greuther Fürth, Darmstadt und Paderborn. Vier von denen sind in relativ kurzer Zeit danach noch weiter abgestiegen. Man sieht also: Die 2. Bundesliga ist kompliziert und beileibe kein Wunschkonzert. Was ich mir wünsche, ist ein Schulterschluss zwischen Mannschaft und Fans. Wenn ich an die Stimmung denke, die nicht nur bei den Spielen gegen Köln, St. Pauli, den HSV, Bielefeld oder Union Berlin geherrscht hat, sondern auch in den Partien gegen Heidenheim, Aue und Fürth, dann freue ich mich schon auf die nächste Saison.

40 Jahre Ruhrstadion Bochum: Verraten Sie uns doch bitte ihren schönsten Moment des VfL Bochum.
Es gibt nicht den einen schönen Moment. Ich erinnere mich daran, als Spieler viele schöne Momente genossen zu haben. Hier habe ich meine Karriere gestartet, bin im Jahr 2000 mit dem VfL in die Bundesliga aufgestiegen. Nach meiner aktiven Zeit ist mir tatsächlich ein besonderer Moment in Erinnerung und der ist noch gar nicht so lange her. Im Februar 2018 hatten wir besagtes Spiel gegen Darmstadt 98, die erste Partie nach meiner Ernennung zum Sportvorstand. Viel Verantwortung auf dieser Position, umso erleichterter war ich, dass wir das Spiel mit 2:1 gewinnen konnten. Ein wichtiger Baustein
auf dem Weg zum Klassenerhalt, vor allem, weil Fans und Mannschaft wieder eine Einheit gebildet haben.

Vielen Dank für das ausführliche Interview.

Zurück