bochum macht spaß
Foto: Frank Goosen

FRANK GOOSEN | KEIN WUNDER

EIN GESPRÄCH MIT DEM BOCHUMER AUTOR

Interview:

David Wienand

Fotos:

Frank Goosen

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Foto: Frank Goosen

Rotzfreche Mentalität zwischen Berlin und Bochum »Kein Wunder« ist der mittlerweile siebte Roman des Bochumer Autors Frank Goosen seit seinem Debüt als Romancier im Jahre 2000 mit dem Titel »Liegen Lernen«. Es ist die Fortsetzung seiner bereits mit dem Vorgänger »Förster, mein Förster « begonnenen, komödiantischen Geschichte um den gleichnamigen Protagonisten, der sich nun mit seinen Freunden Brocki und Fränge in das Berlin kurz vor dem Mauerfall begibt und in die dortige Subkultur (West) und Dissidentenszene (Ost) eintaucht, allerdings auch immer wieder in die Kneipen-, Kultur- und Musikszene des Ruhrgebiets zurückkehrt, das sich Ende der 1980-er Jahre gerade ebenfalls an einem Scheideweg zwischen Ende von Kohle und Stahl und dem dringenden Bedürfnis nach Neuorientierung befindet. Erst vor wenigen Monaten haben drei frühere Veröffentlichungen des Schriftstellers, nämlich »Sommerfest«, »Radio Heimat« und »So Viel Zeit« den Weg ins Kino gefunden und für den WDR geht der ehemalige VfL-Bochum-Aufsichtsrat auf Spurensuche in seiner Heimat zwischen Rhein und Ruhr. Anlässe genug also, den Autor, Kabarettisten, Kolumnisten, Moderator, Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur und immer noch VfL-Begeisterter mit einigen Fragen zu behelligen.

Was macht das mit dem eigenen Ego, wenn du als Lese-Reisender in den Bahnhofsbuchhandlungen auf der Suche nach einer Lektüre für unterwegs am eigenen, üppigen Oeuvre vorbeimarschierst und dazu die Romane noch mit dem Sticker: „Spiegel Bestseller-Autor“ beklebt sind?
Ich versuche dann, mir nichts anmerken zu lassen, freue mich aber natürlich. Sagen wir es mal so: Als gleich mein erster Roman »Liegen Lernen« ein
Bestseller wurde, bin ich ziemlich zeitgleich Vater geworden. Eine gute Kritik im „Spiegel“ pinselt das Ego, hilft aber nicht beim nächtlichen Wickeln. Das
erdet.

In der Exposition deines neuen Romans »Kein Wunder«, der im Jahre 1989 spielt, lässt du deinen Protagonisten Förster auf dem Weg zu einem  „Beruhigungsbier“ in der Zeche am Schauspielhaus vorbei zur Bushaltestelle an der Sparkasse Königsallee gehen. Dabei fallen Förster die Transparente am Schauspielhaus auf. Im großen Haus: Pirandellos „Die Riesen am Berge“, Kammerspiele: Tanztheaterstück von Reinhild Hoffmann und das damals aktuelle Logo: ein durchgestrichenes Atomkraftwerk. Musst du für diese Details aus der Vergangenheit in die lange Recherche gehen oder funktioniert da noch dein Gedächtnis?
Das mit dem durchgestrichenen Atomkraftwerk hatte ich noch im Kopf, aber dass an genau diesem Tag, dem Tag vor Himmelfahrt 1989, diese beiden Stücke liefen, wusste ich natürlich nicht mehr. Da hat mir das Zentrum für Stadtgeschichte dankenswerterweise geholfen.

Es wurde und wird noch immer bemängelt, dass es in der deutschen Literatur keinen richtigen Wende-Roman gebe. Mal unabhängig davon, ob du KEIN WUNDER selbst als solchen siehst, inwiefern spiegelt er vielleicht dennoch „Wende-Momente“ wieder?
Es gibt einen Haufen Romane über die Wende und die Zeit davor und danach. Ich verstehe dieses Gequengel ehrlich gesagt nicht. Man gewinnt den Eindruck,
manche Kritiker haben einen ganz bestimmten Roman im Kopf, den sie gerne lesen würden, aber nicht schreiben können. In »Kein Wunder« habe ich versucht, die Sache komödiantisch anzugehen: Förster besucht Fränge in Berlin. Fränge hat zwei Freundinnen, eine im Westen, eine im Osten. Das heißt, er ist nicht so richtig scharf auf den Mauerfall. Damit verbunden ist die Frage, ob nicht die Mauer genau das war, was ihm seine bequeme, hedonistische West-Existenz überhaupt ermöglicht hat. Unter der Komödie strömt also eine durchaus ernsthafte Fragestellung.

Mit »Förster, Mein Förster« ging es u.a. an die Ostsee. Nun begibt sich dein Romanheld Förster nach Berlin. Ist dir das Ruhrgebiet als literarischer
Entfaltungsraum zu eng geworden?
Bestimmt nicht. Es geht einfach darum, das Ruhrgebiet in einen Zusammenhang zu stellen. Wir leben hier ja nicht hinter den sieben Bergen, bei den sieben
Grubenzwergen. Speziell mit Berlin gab es immer einen regen Austausch. Da ist man sich ja auch von der rotzfrechen Mentalität her relativ nahe. »Kein
Wunder« pendelt zwischen Bochum und Berlin, weil man damals viele Leute kannte, die nach Berlin gingen, um zum Beispiel der Bundeswehr zu entgehen. Das behauptet im Buch auch Fränge von sich. Tatsächlich ist er untauglich, aber das ist ihm zu uncool.

Wie viele eigene Berlin-Erfahrungen und Erlebnisse stecken in mehr oder weniger abgewandelter Form in den Figuren und der Handlung?
Ich habe Berlin in allen Aggregatzuständen erlebt. Ich war ein paar Mal dort, als es noch eingemauert war und u.a. auch mit dem Geschichte-Leistungskurs. Dann war ich noch einmal in der Übergangsphase 1989/90 dort, als fliegende vietnamesische Händler die Paletten mit Cola, Fanta, Sprite und Lift an den noch immer etwas kariert guckenden Grenzern auf Sackkarren vorbeischoben, um sie im Osten an den Straßenecken zu verhökern und natürlich immer wieder in den unterschiedlichen Phasen der Gentrifizierung.

Ein wenig erinnert das an Sven Regeners Protagonisten Herrn Lehmann, den es ja auch von Bremen nach Berlin gezogen hat und der auf ähnlich skurrile Gestalten trifft wie Förster.
Ich schätze Sven Regener als Autor, Musiker und Texter sehr. Seine Figuren bewegen sich mehr in der Szene der Punks und Künstler, meine gucken sich das
Ganze mehr von Außen an. Die Künstler, also Theater und Filmemacher laufen in »Kein Wunder« mehr im Ruhrgebiet herum. Genau darum ging es mir, zu zeigen, dass hier in den Achtzigern eine Menge Aufbruch zu spüren war. Das alte Ruhrgebiet mit seinen Zechen und Stahlwerken wurde allmählich abgewickelt, in den Industrieanlagen wurden Kulturzentren gegründet. Da bewegte sich etwas. Eine Unterströmung des Buches ist auch die Frage, wie sich der Mauerfall auf uns hier zu Hause ausgewirkt hat.

Inwiefern stellten dich die Ortswechsel vor neue (Recherche-) Aufgaben?
Tatsächlich habe ich für »Kein Wunder« mehr recherchiert, als für andere Bücher. Ich habe viel mit Freunden gesprochen, die im Osten aufgewachsen
sind. Zum Beispiel mit meinem Kumpel Herbert, der ein paar Jahre älter ist und für die staatliche Finanzrevision der DDR gearbeitet hat. Der hat mich zum Beispiel darauf gebracht, dass man den Campingkocher „Juwel“ günstig im Osten kaufen und dann mit Gewinn auf den Flohmärkten im Westen wieder verkaufen konnte, um den Zwangsumtausch zu refinanzieren. Das ist für den jungen Fränge im Buch wichtig, weil er ja eine Freundin hinter der Mauer hat.
Für jeden Besuch 25 Mark Eintritt bezahlen, das ist schon happig, wenn man sich zwar „Weltenwanderer der Liebe“ nennt, aber nur in einer Kneipe jobbt. Auch der Schriftsteller Jakob Hein hat  mir wichtige Tipps gegeben.

Du scheinst auf skurrile Dreierbeziehungen spezialisiert zu sein: Pommes, Spüli und Mücke oder Fränge, Brocki und Förster. O.K., in »So viel Zeit« ist es ein Quintett … . Als Musikfan hörst du bestimmt auch Hendrix, Cream, ZZ Top, Rush…
Ich kenne einfach genau diese Konstellation aus meinem Leben: Zwei Leute haben konträre Meinungen und ich stehe irgendwo dazwischen oder am Rand,
so wie Förster das im Buch empfindet. Was die Musik angeht: Mein Urknall waren die Beatles, ca. acht Jahre nach ihrer Trennung. Die sind für mich die Basis für Alles, ergänzt durch die Stones und Dylan. Ich bin aber auch modernen Kapellen sehr zugeneigt, ärgere mich zum Beispiel sehr darüber, dass „The National“ immer dann in Deutschland auftreten, wenn ich gerade keine Zeit habe. So ist es auch in diesem Jahr wieder.

Der Fußball spielt in deiner schriftstellerischen Tätigkeit immer weniger eine Rolle, so ist zumindest mein Eindruck. Dafür tauchst du nun mehr als sonst in künstlerische und politische Subkulturen ein. Ist das eine bewusste Entscheidung, reiner Zufall oder ein mehr oder weniger treffender Eindruck eines Lesers?
Der Eindruck täuscht. Ich habe genau ein Fußballbuch veröffentlicht. In anderen Büchern spielt Fußball nur eine kleine bis gar keine Rolle. Ich schreibe aber nach wie vor meine Kolumne im „Kicker“ und habe auch Fußballtexte in meinen Bühnenprogrammen.

Wie gehst du als Mensch und Autor mit verhalten begeisterten Stimmen zu deinen Texten, wie dieser zu deinem Roman »Förster, Mein Förster«, er sei „ein etwas langsamer, aber charmanter Roman über Männer beim Bier“ um?
Seit immerhin sechsundzwanzig Jahren bin ich daran gewöhnt, dass meine Arbeit öffentlich bewertet wird. Ich hätte es früher nicht geglaubt, aber es gelingt mir tatsächlich, dem nicht mehr viel Beachtung zu schenken. „Langsam, aber charmant“ finde ich im Übrigen gar nicht so schlimm.

Zuletzt sind zwei deiner Romane, nämlich »Radio Heimat« und »So Viel Zeit«, erfolgreich verfilmt worden. Welche weiteren Veränderungen hat das für dich als Mensch und Schriftsteller mit sich gebracht?
Es geht eine ungeheure Aufmerksamkeit damit einher, vor allem, da an der Filmfront ein gutes Jahrzehnt Ruhe war und es dann so geballt kam. Als Mensch bringt das die ein oder andere rauschende Filmpremiere. Auf das Schreiben wirkt es sich nicht aus. Es ist schön, wenn ein Buch verfilmt wird, aber ich denke beim Schreiben nicht daran. Da habe ich mehr im Kopf, nämlich dass ich mich darauf freue, das Ding vor Publikum laut vorzulesen.

Das Thema Ego hatten wir zu Beginn schon einmal, aber wenn Jan Josef Liefers, Jürgen Vogel, Richy Müller und Armin Rohde die Protagonisten deines Romans spielen, dann geht das wohl nicht spurlos an einem Autor vorüber, oder?
Ob die Darstellerinnen und Darsteller in so einer Verfilmung besonders bekannt sind oder nicht, das spielt keine Rolle. Wichtiger ist es, dass der Film den
Geist des Buches erfasst hat und auch transportieren kann. Das ist speziell in dem von dir genannten Beispiel nicht der Fall, deshalb bringt die Prominenz
der Besetzung auch nichts für mein Ego.

Ein ganz anderes Thema, aber viele Menschen in Bochum, die dich schätzen, interessiert es: In einem WAZ-Interview verweigerst du erneut eine
präzise Erklärung für deinen „Ausstieg“ aus einer verantwortungsvollen Position beim VfL Bochum 1848. Als jemand, der dich journalistisch schon
eine ganze Weile begleitet, verstehe ich diese Zurückhaltung nicht.
Öffentliche Diskussionen über interne Auseinandersetzungen sind immer schlecht für einen Verein, das hat man damals erst kurz vorher in der Angelegenheit
Felix Bastians gesehen. Das wollte ich dem Verein ersparen. Im Fußball ist das Meiste nach ein paar Monaten völlig vergessen. Was damals wirklich gewesen ist, will heute schon lange niemand mehr wissen.

Für eine WDR-Dokumentation hast du dich auf die Suche nach der »Seele des Ruhrgebiets« gemacht. Wie viel Mühe hat es dich als profunder Kenner vieler Facetten des Reviers gekostet, die Seele des Ruhrgebiets zu ergründen?
Ob ich sie wirklich komplett ergründet habe, das weiß ich nicht, jedenfalls nicht so, dass ich sie mit einem Satz charakterisieren könnte, aber ich habe viele
tolle, sehr unterschiedliche Menschen getroffen und durfte mich in sehr spannende Situationen begeben. In den Stahlwerken Bochum durfte ich heiße Schlacke abkippen und im Bergmannsheil einen Rollstuhl mit der Kraft meiner Gedanken steuern. Das ist kein Witz!

Als Stadtmagazin für Bochum interessiert uns natürlich auch, was für dich als in Bochumer Geborener die „Seele“ deiner Heimatstadt ausmacht.
Ich tue mich mit solchen Fragen immer schwer. Bochum hat den Strukturwandel besser überstanden, als andere Städte, daran hatten Opel und die Uni einen großen Anteil, aber auch die Kultur im weitesten Sinne, also nicht nur das Schauspielhaus und die Symphoniker, sondern auch die freie Szene und die Freizeitkultur, wie sie sich beispielsweise im Bermudadreieck zeigt.

Was steht demnächst an? Wird die Reihe GOOSENS NEUE BÜCHER im Schauspielhaus fortgeführt? Womit ist darüber hinaus in der nahen Zukunft zu rechnen?
Im Schauspielhaus wird die Reihe leider nicht fortgeführt. Ich denke an ein ähnliches Format an anderer Stelle, weil mir die Begegnung mit Kolleginnen
und Kollegen immer sehr großen Spaß gemacht hat. Jetzt aber steht erst einmal die Lesereise mit „Kein Wunder“ an.

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